Kanadischer Botschafter gibt Tagesspiegel-Journalisten Nachhilfe in interkultureller Kompetenz
Seit Jahren erfolgt in zahlreichen Medien eine überproportionale Problematisierung und Generalisierung gegenüber Muslimen bzw. Menschen mit türkisch-arabischstämmiger Migrationsgeschichte, bei denen jegliches Fehlverhalten von vielen deutschen Medien oft und gerne auf ihre Religion zurückgeführt wird, so auch vom Tagesspiegel.
Auch, wenn keine 30 der über 4 Millionen in Deutschland lebende Muslime in den letzten zwanzig Jahren in terroristische Anschläge verwickelt waren – allzu häufig werden schreckliche Taten von – sich selbst als Islamisten bezeichnenden, in der Regel allerdings völlig unislamisch lebender -Terroristen in einen Zusammenhang mit “dem Islam” oder den vier Millionen in Deutschland lebenden Muslimen gesetzt. Genauso wie die sogenannte “Clan-Kriminalität”, die laut BKA gerade einmal 8% der organisierten Kriminalität ausmacht, von Medien so oft und gerne thematisiert wird, als gäbe es keine andere Kriminalität als die von arabischen Großfamilien.
So verwundert es auch nicht, wenn die Tagesspiegel-Journalisten Hannes Heine und Lars von Thöne bei einem Interview mit dem kanadischen Botschafter Stéphane Dion die folgende Frage stellte, woraufhin Ihnen der kanadische Botschafter etwas Nachhilfe in interkultureller Kompetenz gab:
Frage: “In Deutschland gibt es – anders als in Kanada – viele Herausforderungen gerade bei der Integration muslimischer Einwanderer, auch in den nachwachsenden Generationen. In manchen Bereichen sind sie überproportional ion den Kriminalitätsstatistiken vertreten, bei den Schulabbrechern, bei der religiösen Radikalisierung. Sollte Deutschland hier mehr für die Integration tun?“
Antwort: “In Ihrer Frage stecken viele Themen. In Kanada versuchen wir, nicht eine Bevölkerungsgruppe ins Visier zu nehmen, indem man ihr zum Beispiel zuschreibt, sie sei überproportional kriminell. Das Justizsystem basiert auf individueller Verantwortung. Wenn ein Mensch kriminell geworden ist, gucken wir uns dessen individuelle Situation an, wir sehen ihn nicht vor allem als Teil einer Gruppe. Das führt sonst dazu, dass man immer dann, wenn man jemanden aus dieser Gruppe sieht, sofort denkt, der neigt zu Kriminalität. Das vermeiden wir. Unsere Gesellschaft basiert auf Einwanderung und wird immer vielfältiger. Das muss auch so sein, denn unsere Bevölkerung – wie auch die in Deutschland und der EU – altert und benötigt den Zuzug aus anderen Ländern. Und wenn eine Gemeinschaft öfter bestimmte Probleme hat oder verursacht, muss man dort ansetzen und gucken: Was kann getan werden, um dieser Gemeinschaft zu helfen? Das ist in der Tat eine Herausforderung in manchen Gruppen. Aber bei uns sind dies ganz andere Gruppen als bei Ihnen. In Kanada haben Muslime zum Beispiel im Durchschnitt eine höhere Bildung als der Bevölkerungsdurchschnitt.“
Diese Worte sprechen uns so aus der Seele, als dass wir sie hier gerne zitieren. Und wir hoffen, dieses Bewusstsein hält irgendwann auch Einzug in die Köpfe möglichst vieler Journalist*innen.
Hier das komplette Interview, das noch weitere sehr inspirierende Aussagen von Stéphane Dion enthält: https://m.tagesspiegel.de/politik/transatlantische-beziehungen-wir-wollen-freunde-bleiben/22677422.html