Kontaktschuld-Argumentation und Assoziationsketten

09.02.2018, Bernhard Heider

24. Jan. 2018 — Der folgende Leserbrief arbeitet einmal am Beispiel des Vereins “Islam Vakfi” auf, wie abstrus der Umgang mit Moscheegemeinden mitunter ist. Ich muss dazu sagen, dass ich den Verein “Islam Vakfi” nicht kenne. Frank Jansen vom Tagesspiegel allerdings auch nicht. Aber es genügt für ihn, über 8 (!) Ecken eine Verbindung zu gewaltbereiten Islamisten nachzuweisen, um diesen Verein nachhaltig mit einem Artikel in ein dubioses Licht zu rücken. Und für Politiker und Verwaltung ist das dann womöglich ein Anlass, Distanz zu wahren, wollen sie nicht Opfer der nächsten Verunglimpfung werden. Ich glaube nicht, dass man solche Assoziationsketten auch über andere gesellschaftliche Gruppen in dem Umfang aufmacht. ich glaube, solche Assoziationsketten werden gerade bei Islam und Muslimen aufgemacht, weil sie viele als “das Fremde” oder als “Fremdkörper” betrachten. Und damit bestärkt man wiederum diesbezügliches Denken. Hier nun also der Leserbrief zu dem Artikel von Frank Jansen: “Pläne für Mariendorfer Moschee werden überarbeitet”:

Es hat mich in tiefe Sorge versetzt, als ich in Ihrem Beitrag über den Verein “Islam Vakfi” gelesen habe, daß “nach Recherchen des Tagesspiegels, sich der Verein offenbar in einem Geflecht befindet, zu dem auch mutmaßliche Islamisten gehören.” Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, aufzuschlüsseln, wie die Assoziationskette verläuft, die Sie zu dieser Schlussfolgerung bringt:

Stufe 1: Der Verein “Islam Vakfi” will demnach eine Moschee in Mariendorf bauen. Dagegen gibt es Bedenken, von der AfD, der Identitären Bewegung und offenkundig auch von Herrn Jansen vom Tagesspiegel. Dabei steht “Islam Vakfi” nicht im Verfassungsschutzbericht.

Stufe 2: Aber es gibt – wie Sie herausgefunden haben – einen zu “Islam Vakfi” zählenden Verein, der “Mariendorfer Moschee e.V.”, der für Sie Anlass zu Bedenken gibt. Dabei steht auch er nicht im Verfassungsschutzbericht.

Stufe 3: Aber der Verein „Mariendorfer Moschee e.V.“ ist Mitglied in der “Islamischen Föderation in Berlin (IFB)” und das gibt für Sie Anlass zu Bedenken. Dabei steht die IFB ebenfalls nicht im Verfassungsschutzbericht.

Stufe 4: Aber zu den Mitgliedern der IFB zählen u.a. auch die Neuköllner Begegnungsstätte (NBS oder auch Dar-as-Salam-Moschee) und das „Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung“ (IZDB) und das gibt für Sie Anlass zu Bedenken. Denn diese stehen im Berliner Verfassungsschutzbericht. (*Nachtrag: Gegen diese Aufführung hatte die NBS geklagt und nach Urteil des Oberverwaltungsgericht Berlin wurden auch rückwirkend alle Aufführungen der NBS und der IZDB in Verfassungsschutzberichten gelöscht. Das Oberverwaltungsgericht hatte die Aufführung als „unzulässige Verdachtsberichterstattung“ bezeichnet und der Berliner Verfassungsschutz konnte trotz jahrelanger (anhaltender) Beobachtung keine konkreten Belege für irgendwelche problematischen Zitate von Taha Sabri nennen.)

Damit endet nun Ihre Assoziationskette, denn mit der Aufführung im Verfassungsschutzbericht ist aus Ihrer Sicht alles gesagt. Aus meiner Sicht ist es das nicht, denn auch der Berliner Verfassungsschutz arbeitet mit „Assoziationsketten“:

Stufe 5: Also schauen wir uns die Neuköllner Begegnungsstätte NBS (selbiges gilt im Prinzip für die IZDB) genauer an. Die NBS hat gegen ihre Aufführung im Verfassungsschutzbericht geklagt. Laut Verfassungsschutzbericht „positioniert sie sich gegen jedwede Gewaltausübung im Namen des Islam und engagiert sich in der Integrations- und Präventionsarbeit“. Es gibt keine fundierten Vorwürfe im Hinblick darauf, dass in der Moschee jemals antisemitische, frauenfeindliche, homophobe oder andersweitige grundgesetzfeindliche Positionen geäußert worden seien, allerdings gibt es eine „Kontaktschuld“ und zwar soll die NBS mit der IGD (Islamische Gemeinschaft in Deutschland) verbunden sein. Die NBS bestreitet zwar eine Angehörigkeit oder eine Abhängigkeit, sondern spricht nur von einzelnen Kontakten, wie sie dies auch zu zahlreichen anderen muslimischen und nichtmuslimischen Organisationen habe. Aber es gibt „Belege“, die immer wieder angeführt werden und die nach meiner Einschätzung alles andere als ausreichend sind:
So ist der Vermieter des Gebäudes der NBS der Verband Interkultureller Zentren (VIZ). Die stehen zwar nicht im Verfassungsschutzbericht, die haben aber eine Verbindung zur IGD.
Und in der NBS fand eine Sitzung des Fatwa-Ausschusses Deutschland statt. An diesem nahmen zwar auch Vertreter*innen aller möglichen anderen Verbände teil, aber eben auch Personen von der IGD.

Stufe 6: Also schauen wir uns einmal die IGD genauer an. Laut Verfassungsschutzbericht ist die IGD dem legalistischen Islamismus zu zurechen. Dazu heißt es im Verfassungsschutzbericht: „In der Agenda legalistischer Islamisten spielt Gewalt keine Rolle. Entweder waren die hierzu zählenden Organisationen nie gewaltorientiert oder sie haben der Gewalt abgeschworen. Zur Durchsetzung ihrer islamistischen Vorstellungen, die sie im Regelfall nicht gegenüber der Öffentlichkeit vertreten, bemühen sie sich, alle im Rahmen des geltenden Rechts möglichen Chancen zu nutzen.“ Es heißt aber auch: „Dennoch werden von legalistischen Islamisten Positionen vertreten, so z.B. in Bezug auf das Staatsmodell oder die Gleichheit der Geschlechter, die mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind.“ Vor allem wird der IGD vorgeworfen, dass Sie zur Muslimbruderschaft gehört und deren mitgliederstärkste Organisation in Deutschland sei. Hierzu sei angemerkt, dass der Präsident der IGD im Jahr 2007 auf der Website der Internationen Muslimbruderschaft zitiert wird, dass er kein Mitglied der Muslimbruderschaft oder einer ihr verbundenen Organisationen sei. Aber die Zuordnung und Beschreibung des legalistischen Islamismus des Verfassungsschutzes besagt, dass die Angehörigen der Muslimbruderschaft dies stets ableugnen und dass ihnen ohnehin nicht zu glauben ist, weil es ihr Konzept sei, die Mehrheitsgesellschaft als „Wolf im Schafspelz“ zu täuschen.

Stufe 7: Also schauen wir uns einmal die Muslimbruderschaft genauer an. Die ägyptische Muslimbruderschaft gilt in Ägypten seit dem Sturz ihrer demokratisch gewählten Regierung durch das Militär offiziell als „Terrororganisation“. Aus Sicht des Berliner Verfassungsschutzes scheint es sich hingegen bei der Muslimbruderschaft um keine Terrororganisation zu handeln. Im Verfassungsschutzbericht heißt es: „Von den 1940er bis zu den 1960er Jahren agierte sie [die Muslimbruderschaft] auch militant und verübte zahlreiche Anschläge auf Staatsvertreter. Als nicht mehr gewaltorientiert gilt die ägyptische MB erst seit der Abspaltung ihrer militanten Flügel in den späten 1970er Jahren. Die MB definiert den Islam als ein „System“, das „zu jeder Zeit und an jedem Ort“ anwendbar sei und erhebt Koran und Sunna zur Richtschnur des politischen Handelns. Hieraus leitet die Organisation ihre Forderung nach einer umfassenden Anwendung der Scharia und nach Schaffung eines islamischen Staates ab. Ideologisch verkörpert die MB jedoch ein breites Spektrum, das bis zu der Forderung nach Schaffung eines „zivilen Staates mit islamischem Referenzrahmen“ bzw. einer „islamischen Demokratie“ reicht.“ Aber es gibt die Abspaltungen militanter Flügel, die man durchaus auch aus deutscher Sicht als Terrororganisationen bezeichnen muss.

Stufe 8: Und wenn wir uns diese militanten Flügel anschauen, zu denen auch die „Hamas“ zu rechnen ist, dann kommen wir wirklich in ein Spektrum, bei dem es keine weitere Assoziationen mehr braucht und gibt.

Nach Ihrem Recherchen lässt sich also erst über eine achtstufige Assoziationskette ein Zusammenhang des „Islam Vakfi“ zu gewaltbereiten Islamisten herstellen. Ich hatte meinen Leserbrief damit begonnen, dass ich in Sorge bin. Diese Sorge bezieht sich weniger auf eine muslimische Organisation wie den „Islam Vakfi e.V.“ , sondern vielmehr auf das gesellschaftliche Klima, in dem solche Assoziationsketten aufgrund einer aneinandergereihten „Kontaktschuld“ von Verfassungsschutz und Medien im Hinblick auf Muslime gerne und häufig aufgezogen werden. Als Mitglied der Katholischen Kirche frage ich mich, ob Sie über die Katholische Kirche auch eine solche „Assoziationskette“ über einige Stufen von mir bis hin zur irischen IRA, zur sizilianischen Mafia oder zur ugandischen Lord Resistance Army ziehen würden? Oder ob für christliche fundamentalistische Gruppen wie die „Zeugen Jehovas“ oder die „katholische PIUS-Bruderschaft“ die gleichen Kriterien im Hinblick auf eine Eintragung in Verfassungsschutzberichten liegen? Immerhin kann man denen nicht nur eine „Kontaktschuld“ vorwerfen, sondern sie treten offen für einen Gottesstaat ein und vertreten im Gegensatz zu so manchen in Verfassungsschutzberichten aufgeführten islamischen Vereinen ganz offiziell homophobe, antisemitische und frauenfeindliche Positionen.

Ich würde mir wünschen, dass es selbstverständlich ist, dass wir kritisch auch mit Muslimen umgehen. Aber dass wir dabei das gleiche Maß anlegen wie bei anderen Religionsgemeinschaften oder gesellschaftlichen Gruppierungen.

Apropos gleiches Maß:
Ich war etwas erstaunt, dass die rechtsextremistische „Identitäre Bewegung“ in dem hier besprochenen Beitrag von Frank Jansen vom 4. Januar wie auch seinem Kommentar vom 5. Januar erwähnt wird, ohne deren Aufführung im Berliner Verfassungsschutzbericht zu nennen. Das scheint man bei der Neuköllner Begegnungsstätte anders zu handhaben. In den 18 (!) Artikeln im Tagesspiegel über die Neuköllner Begegnungsstätte NBS (Dar-as-Salam-Moschee) in den letzten beiden Jahren wurde – egal, ob es den Empfang einer Gruppe von schwulen Führungskräften in der Moschee (http://www.tagesspiegel.de/…/moschee-in-berli…/13901560.html) oder andere Anlässe im Zusammenhang mit der Moschee gab – in 17 der 18 Beiträge die Aufführung im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Nur ein einziges Mal nicht, und zwar, als es darum ging, dass es eine Erklärung gegen Antisemitismus mit klaren Worten gegen das Mobbing eines jüdischen Schülers an der Friedenauer Schule gab ( http://www.tagesspiegel.de/…/offener-brief-na…/19750682.html) , die von der NBS initiiert und von 12 anderen Moscheevereinen mitgetragen wurde. Der Hinweis, dass die NBS diese Erklärung initiiert und die diesbezügliche Pressemitteilung versendet hatte, fehlte zwar, aber immerhin wurde in diesem Beitrag die NBS namentlich genannt, ohne die Aufführung im Verfassungsschutzbericht hervorzuheben.

Streng genommen gab es sogar noch einen zweite Erwähnung der NBS im Tagesspiegel ohne Hinweis auf die Aufführung im Verfassungsschutzbericht und zwar in der kurzen Richtigstellung vom 5.9. 2017 (http://www.tagesspiegel.de/…/in-eigener-sache…/20285758.html) , in der die Redaktion zugeben musste, dass die Aussage in einem vorherigen Artikel vom 1.9. mit der Behauptung „in der Moschee hätten Prediger gegen Juden, Homosexuelle oder Schiiten gehetzt“, falsch war.

Ich würde mir wünschen, dass Sie diese juristisch festgelegte Richtigstellung in Zukunft zur Richtschnur Ihrer Berichterstattung über die Neuköllner Begegnungsstätte machen und nicht eine Erwähnung im Verfassungsschutz, die juristisch angefochten ist. Und ich würde mir wünschen, dass Sie die Kriterien unserer Initiative „Ohne Unterschiede – Nicht-Muslime für einen fairen Umgang mit Muslimen in Politik, Medien und Verwaltung“ (http://1219.eu/ohne-unterschiede/) sich zum Herzen nehmen könnten. Wir betrachten uns im Hinblick auf diese Kriterien im Übrigen nicht als ein „islamfreundliches Bündnis“, wie Frank Jansen uns in seinem Kommentar vom 5. Januar bezeichnet. Wir betrachten uns als einfach nur „neutral“. Vielleicht sollte sich Herr Jansen einmal fragen, ob er das im Hinblick auf Muslime auch ist?