Leserbrief zum Beitrag von Frank Jansen vom 3. Januar 2018:

Hier der zugrunde liegende Artikel aus dem Tagesspiegel vom 3. Januar 2018: Pläne für Mariendorfer Moschee werden überarbeitet

                                              von Bernhard Heider

Es hat mich in tiefe Sorge versetzt, als ich Frank Jansens Beitrag über den Verein “Islam Vakfi” gelesen habe, daß “nach Recherchen des Tagesspiegels, sich der Verein offenbar in einem Geflecht befindet, zu dem auch mutmaßliche Islamisten gehören.” Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, aufzuschlüsseln, wie die Assoziationskette verläuft, die Frank Jansen zu dieser Schlussfolgerung bringt:

Stufe 1: Der Verein “Islam Vakfi” will demnach eine Moschee in Mariendorf bauen. Dagegen gibt es Bedenken, von der AfD, der Identitären Bewegung und offenkundig auch von Herrn Jansen vom Tagesspiegel. Dabei steht “Islam Vakfi” nicht im Verfassungsschutzbericht. 

Stufe 2: Aber es gibt – wie Sie herausgefunden haben –  einen zu “Islam Vakfi”  zählenden Verein, der “Mariendorfer Moschee e.V.”, der für Sie Anlass zu Bedenken gibt. Dabei steht auch er  nicht im Verfassungsschutzbericht.

Stufe 3: Aber der Verein „Mariendorfer Moschee e.V.“ ist Mitglied in der “Islamischen Föderation in Berlin (IFB)” und das gibt für Sie Anlass zu Bedenken. Dabei steht die IFB ebenfalls nicht im Verfassungsschutzbericht. 

Stufe 4: Aber zu den Mitgliedern der IFB zählen u.a. auch die Neuköllner Begegnungsstätte (NBS oder auch Dar-as-Salam-Moschee) und das „Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung“ (IZDB) und das gibt für Sie Anlass zu Bedenken. Denn diese stehen im Berliner Verfassungsschutzbericht.

Damit endet nun Frank Jansens Assoziationskette, denn mit der Aufführung im Verfassungsschutzbericht ist aus seiner Sicht alles gesagt. Aus meiner Sicht ist es das nicht, denn auch der Berliner Verfassungsschutz arbeitet mit „Assoziationsketten“: 

Stufe 5: Also schauen wir uns die Neuköllner Begegnungsstätte NBS (selbiges gilt im Prinzip für die IZDB) genauer an. Die NBS hat gegen ihre Aufführung im Verfassungsschutzbericht geklagt. Laut Verfassungsschutzbericht „positioniert sie sich gegen jedwede Gewaltausübung im Namen des Is­lam und engagiert sich in der Integrations- und Präventionsarbeit“. Es gibt keine fundierten Vorwürfe im Hinblick darauf, dass in der Moschee jemals antisemitische, frauenfeindliche, homophobe oder andersweitige grundgesetzfeindliche Positionen geäußert worden seien, allerdings gibt es eine „Kontaktschuld“ und zwar soll die NBS mit der IGD (Islamische Gemeinschaft in Deutschland) verbunden sein. Die NBS bestreitet zwar eine Angehörigkeit oder eine Abhängigkeit, sondern spricht nur von einzelnen Kontakten, wie sie dies auch zu zahlreichen anderen muslimischen und nichtmuslimischen Organisationen habe. Aber es gibt „Belege“, die immer wieder angeführt werden und die nach meiner Einschätzung alles andere als ausreichend sind:

So ist der Vermieter des Gebäudes der NBS der Verband Interkultureller Zentren (VIZ). Die stehen zwar nicht im Verfassungsschutzbericht, die haben aber eine Verbindung zur IGD.
Und in der NBS fand eine Sitzung des Fatwa-Ausschusses Deutschland statt. An diesem nahmen zwar auch Vertreter*innen aller möglichen anderen Verbände teil, aber eben auch Personen von der IGD.

[Nachtrag aus dem September 2019: mit Urteil vom 23.07.2018 des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg war die Aufführung der NBS im Verfassungsschutzbericht rechtswidrig, da sie eine unzulässige Verdachtsberichtserstattung darstellte und diese musste entfernt werden.]

Stufe 6: Also schauen wir uns einmal die IGD genauer an. Laut Verfassungsschutzbericht ist die IGD dem legalistischen Islamismus zu zurechen. Dazu heißt es im Verfassungsschutzbericht: „In der Agenda legalistischer Islamisten spielt Ge­walt keine Rolle. Entweder waren die hierzu zählenden Organisationen nie ge­waltorientiert oder sie haben der Gewalt abgeschworen. Zur Durchsetzung ihrer islamistischen Vorstellungen, die sie im Regelfall nicht gegenüber der Öffentlich­keit vertreten, bemühen sie sich, alle im Rahmen des geltenden Rechts möglichen Chancen zu nutzen.“ Es heißt aber auch: „Dennoch werden von legalisti­schen Islamisten Positionen vertreten, so z.B. in Bezug auf das Staatsmodell oder die Gleichheit der Geschlechter, die mit den Grundsätzen der freiheitlichen de­mokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind.“ Vor allem wird der IGD vorgeworfen, dass Sie zur Muslimbruderschaft gehört und deren mitgliederstärkste Organisation in Deutschland sei. Hierzu sei angemerkt, dass der Präsident der IGD im Jahr 2007 auf der Website der Internationen Muslimbruderschaft zitiert wird, dass er kein Mitglied der Muslimbruderschaft oder einer ihr verbundenen Organisationen sei. Aber die Zuordnung und Beschreibung des legalistischen Islamismus des Verfassungsschutzes besagt, dass die Angehörigen der Muslimbruderschaft dies stets ableugnen und dass ihnen ohnehin nicht zu glauben ist, weil es ihr Konzept sei, die Mehrheitsgesellschaft als „Wolf im Schafspelz“ zu täuschen.

[Nachtrag aus dem September 2019: Nachdem die Aufführung der Neuköllner Begegnungsstätte (NBS) vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg als unzulässige Verdachtsberichtserstattung bezeichnet und untersagt wurde, hat auch die IGD (mittlerweile umgenannt auf DMG) im Februar 2019 Klage erhoben gegen die Aufführung im Berliner Verfassungsschutzbericht. Das Ergebnis steht noch nicht fest.]

Stufe 7: Also schauen wir uns einmal die Muslimbruderschaft genauer an. Die ägyptische Muslimbruderschaft gilt in Ägypten seit dem Sturz ihrer demokratisch gewählten Regierung durch das Militär offiziell als „Terrororganisation“. Aus Sicht des Berliner Verfassungsschutzes scheint es sich hingegen bei der Muslimbruderschaft um keine Terrororganisation zu handeln. Im Verfassungsschutzbericht heißt es: „Von den 1940er bis zu den 1960er Jahren agierte sie [die Muslimbruderschaft] auch militant und verübte zahlreiche An­schläge auf Staatsvertreter. Als nicht mehr gewaltorientiert gilt die ägyptische MB erst seit der Abspaltung ihrer militanten Flügel in den späten 1970er Jahren. Die MB definiert den Islam als ein „System“, das „zu jeder Zeit und an jedem Ort“ anwendbar sei und erhebt Koran und Sunna zur Richtschnur des poli­tischen Handelns. Hieraus leitet die Organisation ihre Forderung nach einer umfassenden Anwendung der Scharia und nach Schaffung eines islamischen Staates ab. Ideologisch verkörpert die MB jedoch ein breites Spektrum, das bis zu der Forderung nach Schaffung eines „zivilen Staates mit islamischem Refe­renzrahmen“ bzw. einer „islamischen Demokratie“ reicht.“  

[Nachtrag aus dem September 2019: Wie dies in der Praxis aussieht, kann man am Beispiel Tunesien ablesen. Die dortige Regierungspartei Ennahda wird nämlich der Muslimbruderschaft zugerechnet. Interessanterweise handelt es sich bei Tunesien wenig beachtet von der europäischen Öffentlichkeit um die einzige Demokratie im arabischen Raum. Der Regierung gehört u.a. ein jüdischer Tourismus-Minister an und ein weibliches Vorstandsmitglied der Ennahda-Partei ist Oberbürgermeisterin der Hauptstadt Tunis. Passt vielleicht nicht so ganz in das Feindbild und Schwarz-Weiß-Schema, dass Frank Jansen gerne gegenüber “der Muslimbruderschaft” aufmachen will.]

Aber es gibt die Abspaltungen militanter Flügel, die man durchaus auch aus deutscher Sicht als Terrororganisationen bezeichnen muss.

Stufe 8: Und wenn wir uns diese militanten Flügel anschauen, zu denen auch die „Hamas“ zu rechnen ist, dann kommen wir wirklich in ein Spektrum, bei dem es keine weitere Assoziationen mehr braucht und gibt.


Nach Frank Jansens Recherchen lässt sich also erst über eine achtstufige Assoziationskette ein Zusammenhang des „Islam Vakfi“ zu gewaltbereiten Islamisten herstellen!  

Ich hatte meinen Leserbrief damit begonnen, dass ich in Sorge bin. Diese Sorge bezieht sich weniger auf eine muslimische Organisation wie den „Islam Vakfi e.V.“ , sondern vielmehr auf das gesellschaftliche Klima, in dem solche Assoziationsketten aufgrund einer aneinandergereihten „Kontaktschuld“ von Verfassungsschutz und Medien im Hinblick auf Muslime gerne und häufig aufgezogen werden.

Als Mitglied der Katholischen Kirche frage ich mich, ob Frank Jansen über die Katholische Kirche auch eine solche „Assoziationskette“ über einige Stufen von mir bis hin zur irischen IRA, zur sizilianischen Mafia oder zur ugandischen Lord Resistance Army ziehen würden? Oder ob für christliche fundamentalistische Gruppen wie die „Zeugen Jehovas“ oder die „katholische PIUS-Bruderschaft“ die gleichen Kriterien im Hinblick auf eine Eintragung in Verfassungsschutzberichten liegen? Immerhin kann man denen nicht nur eine „Kontaktschuld“ vorwerfen, sondern sie treten offen für einen Gottesstaat ein und vertreten im Gegensatz zu so manchen in Verfassungsschutzberichten aufgeführten islamischen Vereinen ganz offiziell homophobe, antisemitische und frauenfeindliche Positionen.

Ich würde mir wünschen, dass es selbstverständlich ist, dass wir kritisch auch mit Muslimen umgehen. Aber dass wir dabei das gleiche Maß anlegen wie bei anderen Religionsgemeinschaften oder gesellschaftlichen Gruppierungen.

Apropos gleiches Maß:
Ich war etwas erstaunt, dass die rechtsextremistische „Identitäre Bewegung“ in dem hier besprochenen Beitrag von Frank Jansen vom 4. Januar wie auch seinem Kommentar vom 5. Januar erwähnt wird, ohne deren Aufführung im Berliner Verfassungsschutzbericht zu nennen.

Das scheint man bei der Neuköllner Begegnungsstätte anders zu handhaben. In den 18 (!) Artikeln im Tagesspiegel über die Neuköllner Begegnungsstätte NBS (Dar-as-Salam-Moschee) in den letzten beiden Jahren wurde – egal, ob es den Empfang einer Gruppe von schwulen Führungskräften in der Moschee oder andere  Anlässe im Zusammenhang mit der Moschee gab – in 17 der 18 Beiträge die Aufführung im Verfassungsschutzbericht erwähnt.

Nur ein einziges Mal nicht, und zwar, als es darum ging, dass es eine Erklärung gegen Antisemitismus mit klaren Worten gegen das Mobbing eines jüdischen Schülers an der Friedenauer Schule gab, die von der NBS initiiert und von 12 anderen Moscheevereinen mitgetragen wurde. Der Hinweis, dass die NBS diese Erklärung initiiert und die diesbezügliche Pressemitteilung versendet hatte, fehlte zwar, aber immerhin wurde in diesem Beitrag die NBS namentlich genannt, ohne die Aufführung im Verfassungsschutzbericht hervorzuheben.

Streng genommen gab es sogar noch einen zweite Erwähnung der NBS im Tagesspiegel ohne Hinweis auf die Aufführung im Verfassungsschutzbericht und zwar in der kurzen Richtigstellung vom 5.9. 2017, in der die Redaktion zugeben musste, dass die Aussage in einem vorherigen Artikel vom 1.9. mit der Behauptung „in der Moschee hätten Prediger gegen Juden, Homosexuelle oder Schiiten gehetzt“, falsch war.

Ich würde mir wünschen, dass Frank Jansen diese juristisch festgelegte Richtigstellung in Zukunft zur Richtschnur seiner Berichterstattung über die Neuköllner Begegnungsstätte machen und nicht eine Erwähnung im Verfassungsschutz, die juristisch angefochten ist. Und ich würde mir wünschen, dass Frank Jansen die Kriterien unserer Initiative “Ohne Unterschiede – für einen fairen Umgang mit Muslimen” sich zum Herzen nehmen könnten. Wir betrachten uns im Hinblick auf diese Kriterien im Übrigen nicht als ein „islamfreundliches Bündnis“, wie Frank Jansen uns in seinem Kommentar vom 5. Januar bezeichnet. Wir betrachten uns als einfach nur „neutral“. Vielleicht sollte sich Herr Jansen einmal fragen, ob er das im Hinblick auf Muslime auch ist?

Mit besten Grüßen

Bernhard Heider
Geschäftsführer von „Leadership Berlin – Netzwerk Verantwortung e.V.“,

Initiator und verantwortlich für das Projekt „meet2respect – gegen Antisemitismus und Homophobie“, Initiator des Projektes “Mensa meets Leadership (Menschen mit kognitiver Hochbegabung treffen Führungskräfte) und Mit-Initiator des Bündnis „Ohne Unterschiede – für einen fairen Umgang mit Muslimen“.