Offener Brief von Pfarrer Martin Germer

Als Reaktion auf drei einseitige, tendenziöse Artikel im Tagesspiegel der Autoren Hannes Heine*, Alexander Fröhlich**, Jörn Hasselmann und Frank Bachner.

Der Brief richtete sich an die Verantwortlichen von Grün Berlin im Bezug auf drei Artikel im Tagesspiegel, in dem (wie schon in über 20 anderen Artikeln in dieser Zeitung) mit allen Mitteln versucht wird, mit einseitiger, tendenziöser Berichterstattung die Neuköllner Begegnungsstätte (Dar-as-Salam-Moschee) in ein schlechtes Licht zu rücken. Zunächst einmal die drei Artikel:

11.08.2019: “Gebet im Freien” auf dem Tempelhofer Feld – Veranstalter-Verein soll Islamisten nahe stehen

12.08.2019: Seyran Ates zum Gebet auf dem Tempelhofer Feld – “Das sind muslimische Identitäre”

13.08.2019: Massengebet auf dem Tempelhofer Feld – Landesfirma erlaubte Veranstaltung – ohne Rückfrage beim Verfassungsschutz

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich schreibe Ihnen auf Bitten von Herrn Dr. Shadi Mousa, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Neuköllner Begegnungsstätte e.V. (NBS).

Er berichtete mir von der Besorgnis seiner Gemeinde aufgrund der heute im Druck und gestern online erschienenen „Berichte“ des Berliner Tagesspiegel über das Id-Gebet, zu dem die NBS auf dem Tempelhofer Feld eingeladen hat. Als Pfarrer der evangelischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde danke ich Ihnen ausdrücklich dafür, dass Sie dies der NBS ermöglicht haben, genauso wie Sie sicherlich auch einer evangelischen oder katholischen Kirchengemeinde gestatten würden, Gottesdienste im Freien auf diesem der Öffentlichkeit gewidmeten Gelände abzuhalten. Sie entsprechen damit dem Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung gemäß Art. 4 Abs. 2 des Grundgesetzes. Ich möchte Sie ausdrücklich darin bestärken, auch künftig so zu verfahren.

Den Beiträgen im Tagesspiegel ist bei genauem Hinsehen nichts weiter zu entnehmen, als dass das Gebet mit großer Beteiligung stattgefunden hat und dass dabei nichts geschehen ist, was in irgendeiner Weise problematisch gewesen wäre. Wenn die Autoren gewollt hätten, hätten sie überdies von der positiven und offenen Stimmung berichten können, die dort geherrscht hat, oder von der Aufforderung des Imams, sich für eine offene, solidarische Gesellschaft, für ein friedliches Miteinander und für die Bewahrung der Natur einzusetzen und dafür Opfer zu bringen. Die Tatsache, dass Frauen und Männer jeweils in eigenen Bereichen gebetet haben, wie dies weltweit nicht nur in den allermeisten Moscheen, sondern auch in vielen Synagogen und sicherlich auch in zahlreichen Kirchen üblich ist, begründet nach meiner Auffassung in keiner Weise die massiven Angriffe, die im Tagesspiegel-Interview von Seyran Ates vorgebracht wurden. Und ebenso wenig ihre Angriffe gegen GrünBerlin. Ihr Ansinnen, dass Sie der NBS das Abhalten des Gebets hätten verweigern sollen, ist im Munde einer rechtskundigen Anwältin schon einigermaßen verwunderlich.

Ich kenne die Verantwortlichen der NBS – Dar-as-Salam-Moschee seit mehreren Jahren, habe dort wiederholt an Veranstaltungen und Gebeten teilgenommen und mit etlichen der dort aktiven Männer und Frauen gesprochen. Frauen nehmen dort in der Öffentlichkeit verantwortliche Aufgaben wahr. Frauen ohne Kopftücher können sich genauso in der Moschee bewegen wie Frauen, die mit erkennbarem Selbstbewusstsein ein Kopftuch tragen. Die von Frau Ates vorgenommene Parallelisierung der NBS mit „Identitären“ und mit Gruppierungen „rechts von der AFD“ ist völlig abwegig und lässt erkennen, dass sie nicht nur keinerlei Kenntnis vom realen Geschehen in dieser Moschee und vom Handeln und den Motiven der dort Verantwortlichen hat, sondern dass sie wohl auch nicht daran interessiert ist, ihre vorgefasste Meinung an der Wirklichkeit zu überprüfen.

Dasselbe gilt für die Gruppe von Autoren des Tagesspiegel, die nicht nur diese drei Beiträge verfasst und das Gebet auf dem Tempelhofer Feld als Anlass genommen haben, um zum wiederholten Mal eine Reihe von generellen Aussagen über die NBS und die ihr weitläufig nachgesagten „Verbindungen zur Muslimbruderschaft“ oder ihre „Beobachtung“ durch den Verfassungsschutz in der Zeitung zu platzieren, sondern die in ähnlicher Weise auch frühere für sich genommen bedeutungslose Vorgänge instrumentalisiert haben, um die NBS als dubiosen, wenn nicht sogar als gefährlichen Verein erscheinen zu lassen. Es ist auffällig und für eine ansonsten auf seriöse Berichterstattung bedachte Tageszeitung äußerst ungewöhnlich, wie viel vom Inhalt ihrer Beiträge  in keinerlei sachlichem Bezug zu dem steht, was auf dem Tempelhofer Feld tatsächlich geschehen ist.

Auch bei diesen Autoren ist zu erkennen, dass sie kein tieferes Verständnis für die Bedeutung des Grundrechts auf freie Religionsausübung haben. Zudem können sie sich mangels eigener differenzierter Kenntnis von religiösen Zusammenhängen offenbar nicht vorstellen, dass ein eher konservatives Verständnis des Islam und in manchem traditionelle Verhaltensweisen sich mit Weltoffenheit und starker Integrationsbereitschaft verbinden können – und bei der NBS tatsächlich verbunden sind. Die vielfältigen Aktivitäten der NBS im Sinne des Dialogs, z.B. mit Christen und auch mit Juden oder auch mit gleichgeschlechtlich lebenden Menschen werden von dieser Gruppe von Tagesspiegel-Autoren entweder als Alibihandeln verdächtigt oder systematisch ausgeblendet.

Bitte lassen Sie sich von dieser polemischen und interessegeleiteten Berichterstattung nicht beeindrucken.

Mit freundlichem Gruß
Martin Germer

Kopien dieser Mail sende ich an die NBS, an den Chefredakteur des Tagesspiegel sowie an einige Personen, die im christlich-muslimischen und interreligiösen Dialog engagiert sind und mit mir zusammen für fairen Umgang mit Muslimen in Presse und Öffentlichkeit eintreten.

Pfarrer Martin Germer
Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde
Lietzenburger Straße 39
D 10789 Berlin
www.gedaechtniskirche-berlin.de

* Hannes Heine hatte bereits in einem früheren Artikel seiner Abneigung gegenüber der Neuköllner Begegnungsstätte freien Lauf gelassen:
In einem Beitrag im Sommer 2017 hatte Hannes Heine die frei erfundene Behauptung über die Neuköllner Begegnungsstätte in die Welt gesetzt, „Islamistische Prediger sollen dort gegen Juden, Homosexuelle und Schiiten gehetzt haben“.  Dabei ist das Gegenteil der Fall – immer wieder waren Juden, Homosexuelle und Schiiten in der Moschee zu öffentlichen Veranstaltungen zu Gast. Dass diese Zuschreibung eine glatte Lüge war, musste die Redaktion des Tagesspiegels nach einer juristisch erwirkten Gegendarstellung auch einräumen (siehe Richtigstellung im Tagesspiegel am 05.09.2017).

** auch Alexander Fröhlich fiel schon in der Vergangenheit durch tendenziöse Berichterstattung über die Neuköllner Begegnungsstätte (NBS) auf.
Die Neuköllner Begegungsstätte gewann im Juli 2018 als kleine Moscheegemeinde ihre Klage vor dem Oberverwaltungsgericht gegen den Berliner Verfassungsschutz bzgl. dessen Aufführung der Neuköllner Begegnungsstätte im Verfassungsschutzbericht unter der Rubrik „legalistischer Islamismus“. In dem sich über mehr als ein Jahr hinziehenden Klageverfahren war der Berliner Verfassungsschutz trotz jahrelanger vorangegangener Beobachtung nicht in der Lage, in über 30-seitigen Ausführungen auch nur ein frauenfeindliches, antisemitisches, homophobes, gewaltrelativierendes oder anderweitig grundgesetzfeindliches Zitat der Moscheegemeinde, bzw. ihres Imams oder Vorstands vorzulegen. Der Berliner Verfassungsschutz musste in Folge seinem Verfassungsschutzbericht 2016 eine Beilage beigefügen und in den folgenden Verfassungsschutzberichten seit 2017 wurde die NBS nicht mehr aufgeführt, da der Berliner Verfassungsschutz keine konkreten Belege für eine Verfassungsfeindlichkeit vorlegen konnte.  Die Gerichtskosten gingen zu 80% zulasten des Berliner Verfassungsschutzes. Es war also ein klarer Sieg der Moscheegemeinde vor Gericht. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts kritisiert auch entsprechend in klaren Worten die bisherige Aufführung der Moscheegemeinde im Verfassungsschutzbericht: „Vor diesem Hintergrund ist die umstrittene Berichterstattung – die Richtigkeit der Tatsachenbehauptungen unterstellt – missverständlich und stellt sich bei summarischer Prüfung als Verdachtsberichterstattung dar.“ oder: „Dies genügt mit Blick auf die besondere Warnfunktion des Verfassungsschutzberichtes, der kein beliebiges Zeugnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit ist, nicht der erforderlichen Differenzierung…“).

Eigentlich hätte man denken können, dass dies mit entsprechender Klarheit in einem Medium wie dem Tagesspiegel zum Ausdruck kommt und die Kritik an einem schon anderweitig durch eine gewisse Rechtslastigkeit aufgefallenen Inlandsgeheimdienst und seines Umgangs mit Muslimen allgemein sowie der Neuköllner Begegnungsstätte im Besonderen, aufgegriffen wird. Dies war aber mitnichten der Fall: Alexander Fröhlich redete in seinem Artikel vom 24.07.2018 das Urteil im Sinne des vor Gericht unterlegenen Verfassungsschutzes klein: „ Am Ende geht es um sprachliche Feinheiten. Nach einem Beschluss des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) muss sich Berlins Verfassungsschutz entscheiden, ob der Verein „Neuköllner Begegnungsstätte“ (NBS) mit seiner Neuköllner Dar-as-Salam-Moschee unter Extremismusverdacht steht oder nur eine Erscheinungsform des sogenannten legalistischen Islamismus ist.“

Nein – hier geht es nicht um „sprachliche Feinheiten“ – hier geht es um „sprachliche Grobheiten“, die Alexander Fröhlich und einige seiner Kollegen immer wieder gegen die Neuköllner Begegnungsstätte richten, indem sie einseitige negative Zuschreibungen vornehmen und es auch nicht als nötig erachten, im Sinne von „audiatur et altera pars“ (man höre auch die andere Seite) mit einem Mitglied der Moscheegemeinde zu sprechen und sich auszutauschen.